Wie ich es geschafft habe, das Ruhrgebiet nicht zu besuchen, als es Kulturhauptstadt bzw. Kultugebiet war und ganz tolle Veranstaltungen dort stattfanden, weiß ich auch nicht. Es war aber so. Ich hatte es fest vor und dann bin ich einfach nicht hingefahren.
Mich hat das immer interessiert und ich war immer etwas neidisch auf die Beziehung die die Ruhrpöttler zu ihrer Gegend haben. Außerdem bin ich ein großer Fan von Industrieromantik, damit stand das erste Ziel, die Zeche Zollverein, auch ziemlich schnell fest.
Wie es sich für eine Hamburgerin gehört, hatte ich natürlich nicht auf dem Schirm, dass am 12. Februar 2015 irgendwas ist und stieg morgens um halb sieben in den HKX Zug Richtung Köln. Als einzige ohne Kostüm und nüchtern. Ihr könnt euch vorstellen, dass das eine besondere Fahrt war. Gegen neun Uhr kam der Schaffner, mit Krawatte um und alle so: kreiiiiisch. Darauf er: „Ne ne, meine Damen, erst um 11:11.“ Sofortige Stille kehrte ein. Regelverstöße funktionieren sogar zur Karnevalszeit in Deutschland. Die Durchsage, dass es erst ab zehn Uhr kaltes Bier gibt, sorgte für einigen Unmut, aber ansonsten fuhren wir fröhlich, mit drei unterschiedlichen Karnevalsliedern gleichzeitig, pro Wagon, Richtung Rheinland.
Für mich war in Essen Schluss. Dort warteten auf dem Bahnsteig bereits eine unüberschaubare Menge an Biene Majas, Bären, Wölfen, Peter Pans und einfach nur „irgendwie total lustig“ kostümierten Leuten auf den Zug nach Köln.
Schlussendlich hat sich dieses Datum aber als ganz gut herausgestellt, da die Leute entweder arbeiten waren oder in Köln, sicher auch Düsseldorf und Mainz, feiern. Alles was ich besuchen wollte war fast gespenstisch leer und selbst die Currywurst in Bochum dauerte keine zwei Minuten.
Dort wo früher geschuftet wurde, ist heute die Kultur eingezogen. Zum einen in Form eines tollen Museums, zu dem eine atemberaubende Rolltreppe führt, zum anderen durch diverse Designhochschulen auf dem Gelände der „Zeche Zollverein“.
Drumherum sind noch viele der Wohnsiedlungen der Arbeiter und ihrer Familien und ich habe mich gefragt, wie die das wohl finden. Menschen, die unter Einsatz ihres Lebens, jahrelang richtig geschuftet haben und jetzt ihre Zeche besuchen. Zwischen internationalen Leuten, die es cool, anders, kreativ, künstlerisch finden, hier zu sein, zu lehren und zu lernen. So Leute wie ich eben, die dort hinkommt, weil sie eine dort gewisse rohe Romantik verspühren.
In meiner Heimatstadt Hamburg wurde und wird natürlich auch richtig gearbeitet. In den Docks von Blohm und Voss zum Beispiel. Aber das ist noch mal etwas anderes, als unter Tage zu sein, finde ich. Was mich hier an dieser Gegend am meisten fasziniert, ist die Größe des Gebiets. Überall standen hier Fördertürme, überall die selbe Malocherei und überall Familien, die mindestens einen Angehörigen unter Tage hatten. Das ist doch heute mit nur wenigen Gebieten vergleichbar. Mit Gütersloh vielleicht, wo alle bei Berteslmann arbeiten, aber naja, das ist ja nun ganz was anderes.
Der zweite Step war dann Duisburg. Durch dichte Schlote über die Autobahn in die untergehende Sonne. Mehr geht ja für mich nicht.
Beim ersten Anblick dieses Stahlwerks machte mein Herz einen kleinen Sprung. Wir waren hier fast alleine, aber am Wochenende werden hier jede Menge shootings durchgezogen. Später, als wir oben auf der Plattform waren, wurden wir gebeten runter zu gehen, weil dort fünf hübsche Jungs ein Drohnen shooting veranstalteten und die Sonne ein wirklich atemberaubendes Licht warf. Da kam sie dann angesurrt die Drohne – 1.0. meets 2.0.
Irgendwie dröhnte immer Herbert mit seinem „tief im Wööööstööön“ in meinem Ohr. Das ist hier zwar nicht Bochum, aber letztlich sind die Übergänge der einzelnen Orte fließend. Im Norden fährt, fährt und fährt man und dann kommt ein Schild auf dem steht: „Willkommen in Schleswig Holstein.“ Da weiß man dann: aha, Stadtgrenze. Als der Song die ersten Male im Radio lief, fragten wir uns, was der da gröhlt. Spätestens jetzt kann ich verstehen, dass man dieses Gegend nicht unbedingt lieben muss, aber sie doch sehr verbindet.
Mir hat mal jemand gesagt: „Du ich lieb meine Stadt nicht, aber sie liebt mich auch nicht“. An den Satz musste ich denken.
Hier ist kein einziger Chip verbaut. Es ist ein riesiger Apparat, der zusammengeschraubt, genietet und geschweißt ist. Alles ist nachvollziehbar und wirkt wie eine riesige Burg, die ich mir als Kind erträumt hatte. Von denen krabbeln und toben hier einige rum, was ich gut nachvollziehen kann. Wenn man sich die Mühe machen möchte, kann man den ganzen Turm abschrauben, zerlegen und woanders wieder aufbauen. Kein Schaltkreis, keine Platine, reine Mechanik. Für mich eine Wundermaschine, die ich mit den Augen einer sechsjährigen bestaune.
Unten geht die Sonne langsam unter und die letzten Kletterer packen ihre Seile ein. Hier muss am Wochenende der Bär los sein. Ein toller Kletterpark, jede Menge Verstecke und unheimliche Ecken.
Es gibt hier noch eine Menge mehr zu sehen. In Oberhausen zum Beispiel. Ich komme sicher noch mal wieder, ich mag das hier alles sehr.
Mir gefällt auch diese Büdchenkultur. Da stehen zwar oft mindestens beschwipste Leute davor, aber die sind harmlos und immer gut drauf.
Die Gegend hat soviel zu bieten und die Menschen hier sind sehr nett. Zumindest die paar Menschen, die ich getroffen habe und die nicht zum Karneval waren. Und wenn man hier ein paar durchgestylte Typen sehen will, muss man nur an die Universität auf dem Gelände der Zeche fahren. Ob das so prima ist? Hm, ich bin unsicher. Bei den Jungs vom Büdchen fühle ich mich jedenfalls wohl.
Update:
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Ich wohne ja seit 15 Jahren in Köln, aber ich habe den Karneval trotzdem immer noch nicht wirklich auf dem Schirm und verlasse gelegentlich versehentlich das Haus… :-P
Ruhrpott ist wirklich toll, viele spannende Locations und erstaunlich viel los. Ich empfehle auch die Extraschicht, wenn du dir mal eine Nacht um die Ohren schlagen willst!
(Und vielen Dank für die Umsortierung des Blogs, endlich sind die neusten Artikel wieder auf einen Klick findbar. Danke, Danke, Danke!)
Meine Freunde von dort, denen es allerdings auch gut geht, die sind stolz auf „ihren“ Pott und „ihre“ Industriegeschichte.
Als ich zuletzt auf Zollverein war, hatten wir eine Führung mit einem älteren Herrn, einem ehemaligen Kumpel. Er hat sehr würdig und begeistert aus „seiner“ Zeit unter Tage und von seinen Erfahrungen im Bergbau berichtet. Natürlich, der Strukturwandel hat dort ja vor x Jahren begonnen und du hast sozusagen Essen in einer „späten Phase“ desselben gesehen. Aber ich habe immer den Eindruck, dass viele viele Menschen dort ihrer Gegend sehr verbunden sind, trotz und wegen der vielen Veränderungen dort seit dem Ende der Kohlesubventionierung und der Montanunion.
Bin selbst großer Fan des Potts, falls das noch nicht aufgefallen sein sollte … ;-) (Und das, obwohl ich fast „von da wech“ komme und nach der Schule aber ganzganz fix nach Berlin bin.) Fahren Sie weiter hin, ist toll und immer wieder überraschend dort!